Nachdem die Englandfahrt in Klasse 9 schon ausgefallen war, stand nun für die 10b der Adalbert-Stifter-Realschule die Studienfahrt in Klasse zehn auf dem Spiel. Das Ziel war Berlin, der Termin war noch unklar. Da entschlossen sich Herr Gulz und Herr Klötzer nach Absprache mit den Eltern, direkt vor den Herbstferien zu fahren, solange die Corona-Lage noch etwas entspannter war. Vier Wochen zur Organisation war ein sportlicher Plan, aber die Zeichen standen günstig und nach ca. 70 E-Mails und mehreren Telefonaten war die Reiseplanung erledigt.
Am Montag früh ging es los mit dem ersten Schnelltest, dann mit dem Zug über Leipzig direkt nach Berlin Gesundbrunnen, ca. 10 Minuten entfernt vom Hotel Citylight. Nach einem kurzen Snack hieß es dann: Zimmer beziehen und ab ins Großstadtgetümmel. Mit der S-Bahn zu den Hackeschen Höfen und auf die Spree zur 'historischen Stadtrundfahrt', vorbei an der Museumsinsel bis hin zum Regierungsviertel mit Reichstagsgebäude, Paul-Löbe Haus und Bundeskanzleramt – Frau Merkel hat leider nicht rausgeschaut. Die Sonne war mittlerweile untergegangen und die Stadt war hell erleuchtet. Das Brandenburger Tor und das Reichstagsgebäude strahlten im Glanz der Scheinwerfer. Zum Abschluss ging es dann zum Potsdamer Platz zum farbig leuchtenden Sony-Center mit seiner beeindruckenden modernen Architektur. Nach so vielen Eindrücken und der langen Reise fielen die Kids und ihre Begleiter*in erst einmal in einen tiefen Schlaf.
Der nächste Morgen begann wieder mit der Schnelltest-Zeremonie. Nach dem Frühstück ging es zum Holocaust-Mahnmal, wo der Schrecken der Ermordung von 6 Millionen Juden im Dritten Reich zum Greifen nah war. Die Schicksale und Geschichten, die im 'Ort der Information' dargestellt und erzählt wurden, gingen allen sehr zu Herzen – beim geführten Gang vom 'Raum der Dimensionen' durch den 'Raum der Familien' in den 'Raum der Namen' zum 'Raum der Orte' wurde klar: so etwas darf nie wieder passieren!
Doch Berlin ist eine Stadt voller Kontraste, und so bot der anschließende Besuch bei Madame Tussaud's Wachsfigurenkabinett die Gelegenheit, sich mit seinem Lieblings-Fußballer oder einer prominenten Schauspielerin fotografieren zu lassen. Auch Frau Merkel war diesmal anwesend. Nach einem kurzen Ausflug über die Dächer Berlins auf den Panoramapunkt am Potsdamer Platz ging es zurück ins Hotel zur Vorbereitung auf den Abend im Friedrichstadt-Palast – der größten Showbühne der Welt.
'Arise' – Erhebe dich – hieß die Show um den Fotografen Cameron, in der er in fantastischen Bühnenbildern erlebt, dass die Liebe stärker ist als die Zeit. Auf der Website liest man: " Extravagante Kostüme, atemberaubende Bühnenbilder und artistische Höchstleistungen bringen Dich zum Staunen und zaubern Dir ein beglücktes Strahlen ins Gesicht." Und so war es wirklich, obwohl zu Beginn der zweiten Hälfte die Zeit plötzlich stehen blieb. Alle Artisten bleiben wie erstarrt an ihren Plätzen und es war still im Saal. Es dauerte eine gefühlte Ewigkeit, bis eine Stimme aus den Lautsprechern kam: "Wir haben einen Time-Code-Fehler und bitten Sie um einen Moment Geduld." Nach kurzer Zeit wurde die Technik wieder hochgefahren und die Show ging weiter mit atemberaubenden artistischen Kunststücken, bezaubernden Stimmen, cooler Live-Musik und einer Trapeznummer, die den Atem stocken ließ – und die Mädels kriegten sich fast nicht mehr ein beim Anblick der 'Sixpacks'…
Nach dem 'Gruppenbild in Abendgarderobe' ging es dann nach einem kurzen Zwischenstopp an der Dönerbude zurück ins Hotel, um die Eindrücke des Tages zu verarbeiten – im Traum natürlich.
Der Mittwoch sollte etwas entspannter werden. Nach dem negativen Corona-Test und einem späteren Frühstück stand eine 'Actionbound' Stadtrallye auf dem Programm – eine Art digitale Schnitzeljagd, bei der man, geführt durch das Handy, verschiedene Fragen beantworten und Aufgaben lösen muss, wie z.B. ein 'Selfie' mit dem Berliner Fernsehturm hochladen. Bei der Gelegenheit konnte man die Stadt vom Potsdamer Platz zum Alexanderplatz zu Fuß erkunden und erfuhr nebenbei interessante Details zu Gebäuden und berühmten Berliner Persönlichkeiten, wie z.B. Alexander von Humboldt.
Anschließend ging es zum Ku'damm, der Einkaufsmeile im ehemaligen West-Berlin zum Shopping im KaDeWe. Auf dem Weg dorthin meinte eine weißhaarige Dame in der U-Bahn, das KaDeWe sei doch etwas für alte Leute. Die Jungen sollten doch ins 'Bikini' gehen, einer umgebauten ehemaligen Fabrikhalle – die älteste Stahlträger-Konstruktion der Stadt. Dort seien die 'trendigen' Läden zu finden, und die angesagteste Bar in Berlin, die 'Monkey Bar'. Von dort schaut man hinab in das Affengehege des Berliner Zoos. Die Bar war zwar tabu für die Kids aber den Ausblick in den Zoo konnte man auch von der Dachterrasse oder durch eine große Glaswand genießen. So etwas erlebt man, wenn man auf eine junge gebliebene Alt-Berlinerin hört.
Kann man Menschen mit einer Mauer dauerhaft einsperren?
Die Geschichte Berlins vom Mauerbau bis zum Mauerfall beweist das Gegenteil. So kann man heute auf der ehemaligen 'Grenzanlage' herumspazieren, wo unzählige Menschen beim Versuch, aus der DDR zu fliehen, ihr Leben lassen mussten. Eine mitreißende Führung bei der Mauergedenkstätte machte die Methoden des totalitären Regimes und die Gewissenskonflikte erlebbar, unter denen die Bürger der ehemaligen DDR zu leiden hatten. "Stell dir vor, du wohnst auf der Ostseite der Bernauer Straße und deine Schule ist im Westen. Von einem Tag auf den anderen kannst du nicht mehr zur Schule gehen, weil da plötzlich eine Mauer steht."
Oder: "Ihr Zwei seid Freunde. Ihr kennt euch schon seit der Kindergartenzeit und jetzt wurdet ihr zur Armee eingezogen und nach Berlin versetzt. Dort wird euch befohlen, auf 'Republikflüchtlinge' zu schießen. Eines Tages erzählt dir dein Kamerad, er will morgen Nacht über die Mauer fliehen…"
Zum Glück müssen wir das nicht mehr erleben, und die ehemalige Mauer wurde zu einem Kunstobjekt umgewidmet in der East-Side-Gallery, wo es diesmal die Gelegenheit zu 'Mauer-Selfies' gab.
Berlin ohne Politiker? Undenkbar!
In Zeiten von Corona war ein Besuch bei einer/em Abgeordneten im Paul-Löbe Haus für Gruppen jedoch leider nicht möglich. Auch war die Reichstagskuppel für größere Gruppen geschlossen. Aber die Gmünder Abgeordnete Ricarda Lang – Bündnis 90 / die Grünen - hatte ein Türchen geöffnet und die 10b in die Landesvertretung Baden-Württemberg zu einer Gesprächsrunde eingeladen. Dort wollte man ihr Fragen zu ihrer Tätigkeit und ihren Zielen als Politikerin stellen und eventuell auch einige Punkte diskutieren. So war der Plan, doch leider machten ihr die Koalitionsverhandlungen einen Strich durch die Rechnung und sie konnte den Termin nicht wahrnehmen. Doch ihr Büro konnte kurzerhand Marcel Emmerich für den Termin gewinnen – einen neu in den Bundestag gewählten jungen Abgeordneten des Wahlkreises Ulm/Alb-Donau, der mit seiner erfrischend unkonventionellen Art den Kids Rede und Antwort stand. Er erzählte davon, wie er als Teenager begann, sich für Politik zu interessieren und dass er bei den Grünen seine Vorstellungen am besten verwirklichen konnte. Und wenn man etwas verändern will, tut man das am besten, indem man sich politisch engagiert in einer demokratischen Partei. So bekam das Bild vom 'unnahbaren Politiker' ein sympathisches, 'normales' Gesicht und Politik war nicht mehr irgendetwas 'Abgehobenes' irgendwo im fernen Berlin. Die anderen Politiker saßen derweil in einem anderen Saal und redeten sich bei den Koalitionsverhandlungen die Köpfe heiß. Die bekam man leider nicht zu Gesicht.
Ein ereignisreicher Donnerstag wurde abgerundet durch ein kulinarisches Highlight am Abend: das gemeinsame Abschluss-Essen in einem italienischen Restaurant.
Der letzte Tag war angebrochen, die Koffer wurden wieder gepackt und die Zimmer geräumt. Der Zug sollte um 14:07 Uhr abfahren. Zuvor war noch ein Besuch in der Stasi-Gedenkstätte Hohenschönhausen – dem ehemaligen Stasi-Gefängnis – geplant. Der Termin war etwas unglücklich geraten, aber es war der einzige noch freie in der Woche. Die Hin- und Rückfahrt mit öffentlichen Verkehrsmitteln in den abgelegenen Stadtteil geriet zwar ein bisschen zum Nervenkitzel, aber die Führung durch das ehemals streng geheime Hochsicherheitsgefängnis durch Zeitzeugen war es wert.
Voll mit Eindrücken der bewegten Geschichte unserer Hauptstadt kehrten die 'Gmünder Landeier' am Freitag spät zurück in die Heimat und wurden erleichtert von ihren Eltern in Empfang genommen. Gott sei Dank hatte der seidene Faden am Corona-Damoklesschwert gehalten und alle sind gesund wieder nach Hause gekommen.
Berlin war jedenfalls eine Reise wert!